Enver Hodscha: „Albaniens Stalin“ liquidierte Rivalen reihenweise - WELT (2024)

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Das Gerücht hatte es in sich. Am 18. Dezember 1981 war aus Albanien unerwartet der Tod des Ministerpräsidenten der kommunistischen Diktatur gemeldet worden. Mehmet Shehu war nur 67 Jahre alt geworden. Die Behörden in Tirana informierten lakonisch, der formal zweite Mann des Regimes nach KP-Chef Enver Hodscha habe sich „in einem Moment nervöser Verzweiflung“ das Leben genommen. Weitere offizielle Stellungnahmen gab es nicht.

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Drei Wochen später, am 11. Januar 1982, berichteten westliche Zeitungen eine gänzlich andere Version. Demnach habe Shehu, der 27 Jahre lang Regierungschef seines Landes gewesen war, nach einem heftigen Streit im Zentralkomitee der albanischen KP am 17. Dezember 1981 einen Schuss auf Hodscha abgefeuert und sich anschließend selbst in den Kopf geschossen. Der Parteichef sei nicht verletzt worden.

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Diese Darstellung ging auf Diplomaten des Nachbarlandes Jugoslawien zurück sowie auf Reisende, die aus Tirana heimgekehrt waren. Danach habe sich bei der ZK-Sitzung folgendes zugetragen: Die 13 Mitglieder des Politbüros, der Spitze des ZK, hätten beraten, wer der Nachfolger des zwar nur fünf Jahre älteren, aber gesundheitlich schwer angeschlagenen Hodscha werden solle.

Bei dieser Diskussion sei klar geworden, dass Shehu, der stets als „engster Waffenbruder“ Hodschas bezeichnet worden war, nicht länger der unangefochtene „Kronprinz“ des Regimes war. Daraufhin soll der Regierungschef, blind vor Wut, einen Revolver gezogen und auf den Parteichef, der ihm gegenüber saß, gefeuert haben. Der Schuss ging fehl, Wachen stürzten herbei – da richtete Shehu die Waffe gegen sich selbst. Leblos und blutüberströmt sei er auf den grünen Filz des Konferenztisches gesackt.

Bestätigt wurde diese Version nie; auch nach dem Ende des kommunistischen Regimes 1991/92 hieß es immer nur, Shehu sei tot in seinem Bett gefunden worden. Jedoch umschrieb Hodscha in seinem Ende 1982 erschienenen Memoiren-Band „Die Titoisten“ die Vorgänge so, dass die Darstellung der Diplomaten dazu durchaus passte. Demnach habe Shehu, der angeblich gleichzeitig Agent des jugoslawischen Geheimdienstes und der CIA gewesen sei, von seinen Auftraggebern den Befehl erhalten, Hodscha in der Sitzung umzubringen – und als er sich ertappt fühlte, habe er sich erschossen.

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Sicher ist jedoch, dass Hodscha schon seit Beginn seiner Herrschaft über Albanien Ende 1944, nach dem Rückzug der erst 1943 an Stelle von Italiener eingerückten Besatzungstruppen der Wehrmacht, Rivalen reihenweise hatte liquidieren lassen. Zufällig ebenfalls an einem 11. Januar, nämlich 1946, hatte er die „Sozialistische Volksrepublik Albanien“ ausgerufen, in der er in Personalunion als Premier-, Außen- und Verteidigungsminister amtierte, daneben oberster Offizier der Streitkräfte war und natürlich Generalsekretär der KP.

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Zunächst in Anlehnung an Jugoslawiens kommunistischen Diktator Tito, nach dessen Bruch mit Moskau 1948 an Stalin sowie seine Nachfolger, ab 1968 an Maos Volksrepublik China und ab 1978 ohne jeden internationalen Partner dominierte Hodscha sein kleines Heimatland mit einer Kombination aus traditioneller Clanherrschaft und kommunistischer Ideologie.

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Geboren am 16. Oktober 1908 in eine für albanische Verhältnisse wohlhabende, bürgerliche Familie, hatte er eine geradezu weltläufige Ausbildung genossen, einschließlich des Baccalauréat am französischen Gymnasium in Korça sowie insgesamt fast sechs Jahren Studium in Frankreich und Brüssel 1930 bis 1936. In dieser Zeit kam er erstmals in Kontakt mit der kommunistischen Ideologie, für die er sich zumindest nach außen hin begeisterte.

Seit 1937 als Französischlehrer in Korça tätig, erhielt er nach der Besetzung Albaniens durch Italien im April 1939 Berufsverbot. Hodscha schlug sich durch und gehörte 1941 zu den Gründungsmitgliedern der illegalen Kommunistischen Partei, deren Leitung er 1943 übernahm. Wie in den Nachbarstaaten Jugoslawien und Griechenland gab es auch in Albanien konkurrierende Partisanenbewegungen gegen die Besatzung durch Italien und Hitlerdeutschland: einerseits nationalistische und eher konservative, andererseits kommunistische, also zumindest dem Anspruch nach internationalistische Gruppen.

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Wie in den beiden Nachbarstaaten bekämpften auch in Albanien die Widerstandsbewegungen einander ebenso sehr wie die Besatzungstruppen. Allerdings war der Umfang der Gewalt in Hodschas Land viel geringer, zudem lagen Kollaboration und Widerstand viel dichter beieinander. Trotzdem kam es auch hier zu Massakern an Zivilisten, und mit der 21. Waffen-Gebirgs-Division der SS „Skanderbeg“ gab es eine Freiwilligentruppe aus Albanern unter deutschem Kommando, die im Südwestbalkan brutal vorging.

Als die deutschen Truppen sich im Herbst 1944 aus Albanien zurückzogen, übernahm die gut organisierte kommunistische Partisanentruppe unter Hodscha (und dem im Kampf erfolgreicheren Mehmet Shehu) die Herrschaft. Nach der Ausrufung der „Sozialistischen Volksrepublik Albanien“ war Hodscha unbestritten der erste Mann. Getrieben von Paranoia, verabreichte er „der traditionellen albanischen Gesellschaft“ Gift, so ein Balkan-Experte der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“, um sie „hinter den grauen Betonblenden einer aberwitzigen Autarkie für den technischen Fortschritt und ein sündenfreies Volkstum zu dressieren“.

Den Höhepunkt erreichte dieser Kurs 1967 mit Hodschas „Kulturrevolution“. Sie gehörte „zu den gnadenlosen Schlägen, die Albanien zerbrochen haben“, so der „Zeit“-Bericht. Die mehr als zweitausend Moscheen und Kirchen des Landes wurden in Kinos, Kuhställe oder Lagerhallen umgewandelt.

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WELT nannte Hodscha eine „seltsame bolschewistisch-nationalistisch-balkanische Mischung aus Gymnasiallehrer und Gewaltherrscher“, der Albanien zum ersten „atheistischen Staat“ der Welt machte, in dem jede religiöse Handlung streng bestraft wurde. Vielleicht (aber das ist Spekulation) war es das eigentliche Verbrechen des gebürtigen Muslims Mehmet Shehu, dass er diesen Kurs zunehmend ablehnte.

Zu Lebzeiten Enver Hodschas, der am 11. April 1985 einem Herzinfarkt erlag, konnte Albanien sich nicht von seinem Ungeist befreien, den auch sein Nachfolger Ramiz Alia bis 1991 am Leben erhielt. Erst am 20. Februar 1991 stürzten Demonstranten in Tirana die Kolossalstatue von Hodscha. Zur Ruhe gekommen ist das Land seither aber nicht wirklich – dafür waren die Verheerungen, die der „albanische Stalin“ angerichtet hat, zu groß.

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