Albanien unter Enver Hoxha: Weg in die Entwicklungsdiktatur (2024)

1946 wurde das rückständige Agrarland Albanien als Volksrepublik neu gegründet. Mit ungeheurer Grausamkeit setzten die Kommunisten das gesellschaftliche Experiment durch. Es endete in der totalen Isolation des Landes.

Karl Kaser

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Albanien unter Enver Hoxha: Weg in die Entwicklungsdiktatur (1)

«Hohe Verfassunggebende Versammlung, am 22.Oktober 1944 erwies mir der Antifaschistische Rat der Nationalen Befreiung die grosse Ehre, mich zum Vorsitzenden der ersten Demokratischen Regierung Albaniens zu ernennen...

Ich habe die grosse Ehre, vor unserem Volk zu schwören, dass wir unerschütterlich Soldaten seiner heiligen Sache sein und ihr bis zum Tod treu bleiben werden. Es lebe das albanische Volk!»

Mit diesen Worten trat Enver Hoxha als Vorsitzender einer provisorischen Regierung am Freitag, den 11.Januar 1946 in Tirana vor die neugewählte Verfassunggebende Versammlung Albaniens, die die Monarchie abschaffte und die Volksrepublik proklamierte. Er bildete auf der Grundlage einer im März verabschiedeten Verfassung eine neue Regierung, in der er auch das Aussen- und das Verteidigungsministerium übernahm.

Albanien war ein kleines und rückständiges Land, das ohne internationale Hilfe nicht lebensfähig war, als es sich 1912 vom Osmanischen Reich lossagte. Es war bis zum Ende des Ersten Weltkriegs von Österreich-Ungarn abhängig und ging in der Zwischenkriegszeit in die politische und wirtschaftliche Einflusssphäre Italiens über. Am Karfreitag des Jahres 1939 besetzt, wurde es in das faschistische Königreich integriert und von einem italienischen Statthalter regiert.

Nach der italienischen Kapitulation im September 1943 rückten deutsche Truppen aus den besetzten Ländern Jugoslawien und Griechenland nach, schlossen das grossteils von albanischer Bevölkerung bewohnte Kosovo an und versprachen dem so geschaffenen Grossalbanien eine unabhängige Regierung. Allerdings war auch die deutsche Präsenz nur von kurzer Dauer, denn im Herbst 1944 setzte ihr Rückzug aus den Balkangebieten ein, so auch Ende November der aus Albanien.

Albanien unter Enver Hoxha: Weg in die Entwicklungsdiktatur (2)

Enver Hoxha und seine jugoslawischen Genossen

Gegen die italienische Besatzung hatten sich albanische Widerstandsgruppen formiert, die nur zeitweise miteinander, jedoch umso stärker gegeneinander kämpften, je mehr es dem Kriegsende zuging. Entscheidend für die Zukunft des Landes sollte die Nationale Befreiungsfront unter Führung der spät gegründeten Kommunistischen Partei werden.

Albanien war ein Agrarland mit einem Anteil von etwa 85 Prozent bäuerlicher, grossteils analphabetischer Bevölkerung und einigen grossgrundbesitzenden Familien, die sich das fruchtbare Land aufgeteilt hatten. Eine klassische Arbeiterschaft als Basis für kommunistische Aktivitäten gab es nicht. Die Schriften von Marx und Lenin waren noch nicht ins Albanische übersetzt worden.

Dementsprechend waren es etwa ein Dutzend junger kommunistischer Aktivisten, die teilweise rivalisierend den Kern der späteren politischen Macht bilden sollten. Zu ihnen zählte der etwa dreissigjährige Enver Hoxha (1908–1985), der einer Kaufmannsfamilie im Süden des Landes entstammend 1930 mithilfe eines staatlichen Stipendiums das Studium der Botanik im französischen Montpellier begann, ohne dieses jedoch abzuschliessen.

1936 kehrte er zurück, unterrichtete als Lehrer, kam mit verstreuten kommunistischen Widerständlern in Kontakt und wurde 1940/41 Mitglied der kommunistischen Zelle in Tirana. Die Gründung einer einheitlichen Albanischen Kommunistischen Partei erfolgte im November 1941. Dies gelang unter massgeblicher organisatorischer und ideologischer Mitwirkung von jugoslawischen Genossen, die sowohl die Gründung als auch den Aufbau einer breiten Volksfront nach jugoslawischem Vorbild begleiteten, die neben den Kommunisten möglichst viele Widerstandskräfte bündeln sollte.

Diese albanisch-jugoslawische Achse sollte über den Krieg hinaus bestehen bleiben.

Hoxha erwies sich als geschickte Führungspersönlichkeit. Er gründete 1942 die Parteizeitung «Volksstimme», wurde 1943 Generalsekretär der rasch anwachsenden Kommunistischen Partei und wurde im Mai 1944 zum politischen Kopf der antifaschistischen Nationalen Befreiungsarmee ernannt, die sich den anderen Widerstandsgruppen gegenüber als organisatorisch und zahlenmässig überlegen erwies.

Dazu trug nicht nur die Tatsache bei, dass ihr Programm der sozialen Gerechtigkeit für junge Männer attraktiv war, sondern auch die Unterstützung der jugoslawischen Kommunisten und vor allem jene Grossbritanniens, das sowohl der jugoslawischen als auch der albanischen Partisanenarmee logistisch und mit Waffenlieferungen Beistand leistete.

Für die Befreiungsarmee war es dank dieser breiten Unterstützung ein leichtes Spiel, sich gegen den restlichen Widerstand durchzusetzen und im Gefolge der abziehenden deutschen Truppen am 28.November 1944 Tirana zu besetzen.

Hoxha hatte bereits im Vormonat das Amt des Ministerpräsidenten einer provisorischen Regierung übernommen und nutzte das Jahr bis zu den ersten Wahlen Anfang Dezember 1945, um klare Verhältnisse zu schaffen.

So wurde jeglicher politische Widerstand im Rahmen eines umfassenden Schauprozesses gebrochen, der Grossgrundbesitz enteignet und das Land an Besitzlose verteilt. Die Wirtschaft wurde zum Grossteil verstaatlicht und eine zentrale Wirtschaftslenkung nach jugoslawischem und sowjetischem Muster installiert.

Die Wahlen bildeten dann lediglich ein unverblümtes Bestätigungsritual für die Alleinherrschaft der Albanischen Kommunistischen Partei, die sich bald darauf in Partei der Arbeit Albaniens umbenannte, um bei den jugoslawischen Genossen nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, dass sich die Partei auch für das albanische Kosovo zuständig fühlte.

Von beinahe hundertprozentiger Zustimmung getragen, trat am 10.Januar 1946 in Tirana die Verfassunggebende Versammlung zusammen, die tags darauf Albanien nach jugoslawischem Vorbild zur Volksrepublik erklärte.

Albanien unter Enver Hoxha: Weg in die Entwicklungsdiktatur (3)

Eine stalinistische Entwicklungsdiktatur

Die neue Regierung sah sich mit zwei schwer lösbaren Problemen konfrontiert. Das erste bildete ihre internationale Anerkennung. Sie war unschwer vonseiten Jugoslawiens, der Sowjetunion und ihrer Verbündeten zu erlangen, nicht jedoch von den westlichen Alliierten, die die staatsstreichartige Machtübernahme durch die Kommunisten missbilligten.

Hoxhas Albanien wurde von den USA, von Grossbritannien, aber auch von der Bundesrepublik Deutschland nie und vorläufig auch nicht vom benachbarten Griechenland anerkannt. Das sollte im Rahmen des aufziehenden Kalten Krieges allerdings keine entscheidende Rolle spielen, spülte jedoch ständig frisches Wasser auf das Mühlrad einer sich abzeichnenden Isolationspolitik.

Wesentlich schwieriger zu lösen war das Problem der Modernisierung. Albaniens Gesellschaft war rückständig, agrarisch strukturiert, arm, analphabetisch und stark patriarchalisch ausgerichtet. Die albanischen Kommunisten waren angetreten, um das Land binnen kurzer Zeit in ein modernes, säkulares, sozialistisches Industriestaatsparadies umzugestalten.

Diese Radikalität rief allerdings viel Unverständnis und vor allem auch entschiedenen Widerstand seitens der Bevölkerung hervor. Religiöse Bindungen, traditionelle Familienwerte, das uralte Gewohnheitsrecht, die Unterwerfung der Frauen – dies alles wurde alsbald von der allein regierenden Partei infrage gestellt. Eben noch im Zuge der Agrarreform mit Grund und Boden versehen, wurden die Kleinbauern mit der Forderung nach dessen Vergenossenschaftlichung konfrontiert.

Die albanische Führung ging kompromisslos vor und sah in der stalinistischen Gewalt- und Modernisierungspolitik der 1930er Jahre ihr Vorbild: radikale Unterdrückung jeglichen bäuerlichen Widerstands, um der Mechanisierung zum Durchbruch zu verhelfen. Die totale Vergenossenschaftlichung und Verstaatlichung von Grund und Boden sollten das rückständige Bauerntum in ein modernes, aufstrebendes, landwirtschaftlich-industrielles Proletariat verwandeln. Die durch Rationalisierungsmassnahmen freigesetzten Männer und Frauen würden dann zur Avantgarde der sozialistischen Gesellschaft aufsteigen.

Die Partei etablierte eine Entwicklungsdiktatur, die in ihrer Grausamkeit mit keinem anderen sozialistischen Land in Osteuropa vergleichbar war. Tausende von Menschen, hauptsächlich Männer, denen oft obskure Vergehen vorgeworfen wurden, verschwanden für viele Jahrzehnte in Arbeitslagern, wo sie gezwungen wurden, unter primitivsten gesundheitlichen und sozialen Bedingungen kräftezehrende Arbeiten «zum Aufbau des Sozialismus» zu leisten.

1967 untersagte die Partei jegliche Ausübung der Religion, Sakralbauten wurden zerstört oder anderen Zwecken zugeführt und das religiöse Personal verhaftet, zur Zwangsarbeit verurteilt oder getötet.

Albanien unter Enver Hoxha: Weg in die Entwicklungsdiktatur (4)

Der Weg in die Isolation

Das Paradoxe war, dass es dem Land ausser an Arbeitskräften an allem mangelte, was zur Umsetzung der gewaltsamen Modernisierungspolitik Voraussetzung gewesen wäre: Fachkräfte für beinahe jeden Bereich, Ausbildungs- und Produktionsstätten, Maschinen, Fabriken, Infrastruktur, Eisenbahnen, Strassen, Brücken und vor allem Staatskapital.

Als ärmstes Land des Ostblocks konnte die neue Führung zwar auf die internationale sozialistische Solidarität bauen, aber diese sollte, wie sich bald herausstellte, starken Schwankungen unterworfen sein. Der schwer nachvollziehbare aussenpolitische Kurs des Landes ist nur vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungsdiktatur zu verstehen. Ohne wohlwollende Unterstützung waren sowohl das Land als auch die Partei nicht überlebensfähig.

Jugoslawien war der erste in der Reihe von Gönnerstaaten. Allerdings sah es Albanien als zukünftigen Teil einer jugoslawisch-bulgarischen Balkanföderation und glaubte es ab 1946 auf gutem Weg, zu einem jugoslawischen Bundesstaat degradiert zu werden. Belgrad leistete einen beträchtlichen Beitrag zum albanischen Staatsbudget, bestand jedoch im Gegenzug darauf, Währung und Wirtschaftsstruktur an die jugoslawischen Verhältnisse anzupassen.

Dies alles geschah unter ausdrücklicher Billigung Stalins, bis es Mitte 1948 zum ideologischen Bruch zwischen Stalin und Tito kam, Albanien den «imperialistischen Kurs» Jugoslawiens verurteilte und in das Lager Stalins umschwenkte. Nun sorgte die Sowjetunion, aber auch ihre Verbündeten, für regelmässige zinsfreie Kredite oder Zuschüsse, Waren- und Getreidelieferungen sowie für die Ausbildung von Fachkräften und Studierenden.

Komplette Industrieanlagen wurden geliefert, die von mitreisenden Fachkräften errichtet, aber zumeist nie zur Gänze in Betrieb genommen wurden, weil es an wichtigen Voraussetzungen im Land mangelte. Stalin selbst warnte Hoxha mehrmals davor, die Landwirtschaft und die Konsumindustrie zugunsten der Schwerindustrie zu vernachlässigen. Aber dies beeindruckte die albanische Führung nicht.

Als die Sowjetunion 1959/60 ihrer Forderung Nachdruck verlieh, schwenkte Albanien abrupt auf ein Bündnis mit China um, das gerade in eine tiefe ideologische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion geraten war. Das alte Spiel wiederholte sich nun. China zahlte in den albanischen Budgettopf, lieferte Fabrikanlagen und stellte Kredite zur Verfügung. 1975 kam allerdings der Moment, an dem China die Rückzahlung von Krediten verlangte. Damit sollte das Ende des chinesisch-albanischen Bündnisses anbrechen.

1976 erliess die albanische Führung die Bestimmung, keine ausländischen Kredite mehr aufzunehmen und nur so viel zu importieren, wie man zu exportieren imstande war. Dieser neue Kurs sollte allerdings deutlich zutage fördern, dass das Land nicht in der Lage war, eine nachholende Entwicklung aus sich heraus zu schaffen – selbst nicht unter dem erzwungenen Konsumverzicht der Bevölkerung und äussersten Gewaltmassnahmen des sich nach wie vor stalinistisch nennenden Regimes. Am Ende der 45-jährigen sozialistischen Ära litt die Bevölkerung an Hunger, und die geschenkten Industrieanlagen waren nichts mehr wert. Nach viereinhalb verlorenen Jahrzehnten stand das Land wieder einmal am Anfang.

Albanien unter Enver Hoxha: Weg in die Entwicklungsdiktatur (5)

Karl Kaser ist Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Graz.

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